Leitbild

Ein Schiff bauen

Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann rufe nicht die Menschen zusammen, um Holz zu sammeln, Aufgaben zu verteilen und die Arbeit zu verteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer. In unseren Kindern ist alles bereits vorhanden : Liebe, Sehnsucht, Begeisterung, Talent, Begabung, Freude, Egoismus, Selbstlosigkeit, und so weiter …

Unsere Aufgabe ist es, eine Umgebung zu schaffen, die es erlaubt, all diese Eigenschaften in Sicherheit zu entwickeln. Wir brauchen kein „Wissen“ über unsere Kinder zu le(h)eren. Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen, Anregungen bieten, jederzeit hilfreich sein. Sie beschützen, dort wo noch unbekannte Gefahren lauern und Ihnen Verantwortung abnehmen, da wo die Lebenserfahrung noch fehlt. Und wir wollen Vorbild sein! Im Kinderhaus wollen wir zeigen, wie ehrlicher Umgang miteinander funktioniert. Respektvoll, liebevoll, lustig, hilfreich und ehrlich. Wir fördern und verlangen von uns selber und von den Kindern Zivilcourage und den Willen zur friedlichen Konfliktlösung (und „der Klügere“ gibt nicht immer einfach nach). Dies gelingt nur, wenn wir es den Kindern vorleben. Und das heisst auf keinen Fall, Lösungen vorspielen, sondern eine Haltung leben. Kinder sehen, was wir tun und spüren, was wir fühlen. Durch’s Spüren lernen sie.

Deswegen: tun wir es doch lieber gleich!

Schenken wir die Gewissheit: „Du bist wertvoll“ … „Du wirst geliebt, genau so wie du bist!“ Tun wir es gleich, auch wenn wir manches an ihnen (z.B. an ihrem Verhalten) nicht verstehen oder nur schwer aushalten können.

Harmonie im Kinderhaus

In unserem Kinderhaus bewegen wir uns täglich im Spannungsfeld zwischen „einem jedem von uns Mitgegebenen“ und „dem miteinander Möglichen“. Bei uns herrscht ehrliches Interesse an der Entfaltung jedes Einzelnen innerhalb der Gruppe und kein Hineinpressen in pädagogische Schablonen. Willkommen in einem bunten Alltag mit viel Neugierde, Humor und Wachsamkeit im Beisammensein!

Besondere Kinder

Nach jahrelanger Erfahrung mit unseren „bunten“ Kindern (entspannt, lebhaft, ruhig, empfindsam, lustig, lebhaft, schüchtern, „verhaltensauffällig“, zerebrale Lähmung, soziale Beeinträchtigung, Downsyndrom – um nur einige zu nennen) ist in uns die Erkenntnis gereift, dass eigentlich alle uns anvertrauten Kinder besonders sind in ihrer Einzigartigkeit und besondere Aufmerksamkeit und Respekt verdienen – einfach liebevolle Bestätigung in ihrem einmaligen Sein. Natürlich ist es so, dass eine schwere Beeinträchtigung, aggressives Verhalten (egal ob psychischen oder physischen Ausdrucks), übergroße Angst oder Depression anfangs ganz besonders viel liebevolle Aufmerksamkeit und Wachsamkeit erfordern. Dabei haben wir aber gelernt, dieses Geschenk der ganzen Gruppe zukommen zu lassen. Dadurch ist das Gespür der Kinder für ihr gegenseitiges Verschiedensein stark gewachsen. Die erfahrenen Kinder können schon zwischen dem Verhalten und dem „Wesenskern“ eines Kindes unterscheiden. Sie erkennen schon, dass sich ihre Familien (bzw. Systeme) unterscheiden und erzählen sich gegenseitig davon. Sie merken, dass es für manche von ihnen ungleich schwieriger ist, Frieden zu lernen und zu leben, als für sie selbst. Die Toleranz, die daraus entsteht, könnte so manchen Erwachsenen beschämen.

Frieden und Schutz

Ein großer Teil unserer Kinder ist inzwischen sozial so gewachsen, dass sie zu einem Grundpfeiler unseres Projektes geworden sind. Sie sind inzwischen in der Überzahl, so dass sich eigentlich keiner der „Neuen“ ihrem sozialen Charme und ihrer Zivilcourage über einen längeren Zeitraum hinweg entziehen kann – und will. Frieden und eine liebevoll beschützende Atmosphäre scheinen wirklich ein Urbedürfnis (auch von uns BetreuerInnen) zu sein. Dafür springen wir alle täglich über unseren Schatten.

Es hat sich herausgestellt, dass der Garant für Frieden unter den Kindern ihre eigene Zivilcourage ist. Schließlich kann auch bei vielen BetreuerInnen in einem Raum ein frustriertes Kind eine Gelegenheit finden, um ein anderes Kind zu dominieren, zu beleidigen, zu schlagen oder sonst irgendwie zu verletzen. Unabhängig der Ursache dieser Frustration/Wut (die kann ja weit zurück liegen) sind am ehesten die anwesenden kleinen Augen-, Ohren- und Gefühlszeugen in der Lage, der Situation wirklich gerecht zu werden. Ihre Aufmerksamkeit, ihr Mitgefühl und ihre Zivilcourage sind oft die nötige „Erste Hilfe“, die in einem Konfliktfall Opfer und Täter zukommen. Außerdem haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Kinder Kritik und Zurechtweisungen untereinander leichter (weil ohne Autoritätsfilter) akzeptieren können. Eine zu schnell herbei eilende – womöglich auch noch genervte – Betreuungsperson ist oft mehr Gift als Medizin für die Betroffenen.

Unseren BetreuerInnen ist bewusst, dass dieses Projekt ohne die Mitarbeit der Kinder nicht möglich wäre, und die Kinder sind stolz auf IHR Kinderhaus.

Ausbildung der BetreuerInnen

Die Ausbildung der BetreuerInnen geht natürlich auch weiter:

  • Sie verlangt die Bereitschaft, wirklich jedes Kind ins Herz zu nehmen, egal in welcher Form es gerade beeinträchtigt ist.
  • Sie lernen, sich liebevoll auf die Verschiedenartigkeit aller Kinder (und weiterer Lebewesen!) einzustellen.
  • Sie müssen im Besonderen auch lernen, mit Extremsituationen fertig zu werden. Sie werden darin geschult, diese vorzeitig zu erkennen (die meisten Gewitter brauchen einige Zeit, um sich aufzubauen, bevor sie sich entladen …).
  • Sie lernen, z.B.
    • destruktiven Aktionen (Zerstörung von Dingen)
    • verbalen und körperlichen Angriffen
    • autoaggressivem Verhalten (sich selbst verletzen)
    • Rückzug in sich selbst oder in Phantasiewelten

zu begegnen und diese Situationen (oft unter Einbeziehung der Gruppe) zu meistern. Spätestens bei der Nachbesprechung einer Extremsituation sind alle dabei. Diese Einbeziehung sind wir unseren kleinen Mitstreitern schuldig, schließlich erleben sie diese Situationen mit, oder sind zumindest mit deren Auswirkungen konfrontiert.

Für diesen komplexen Aufgabenbereich ist es notwendig, dass die BetreuerInnen die Grenzen ihrer eigenen Leidens-, Liebes- und Aggressionsbereitschaft kennen lernen, um diese gegebenenfalls zu erweitern bzw. zu beschränken. Darüber hinaus ist es auch wichtig, von einer leider immer noch weit verbreiteten manipulativen pädagogischen Grundhaltung Abstand zu nehmen und systemisch denken, handeln und fühlen zu lernen. Unserer Erfahrung nach entscheidet das Ausmaß der Selbstreflexion über die Qualität der Kommunikation mit der Umwelt.

Daher ist die Weiterbildung, die wir unseren BetreuerInnen anbieten, sehr vielfältig. Sie reicht von Selbsterfahrung über Kommunikation, Einblicken ins Unterbewusstsein bis zu systemischem Denken und vielem mehr.

Der Wille zum Trainieren einer ausdauernden sozialen Wachsamkeit sowie der Sensibilisierung jenes Fingerspitzengefühls, jenes Gespürs, das entscheidet, ob, wann und wie das Einmischen in einen Gruppen- oder Selbstprozess angebracht ist, sind Grundvoraussetzungen für diesen Job.

Unser Alltag

Unser ganzer Tagesablauf ist geprägt vom Umgang und der Kommunikation mit sich selbst und allen anderen Lebewesen und Dingen in und außerhalb unseres Kinderhauses. Hauptaufgabe unserer BetreuerInnen ist, die Kinder in diesen Prozessen täglich liebevoll zu begleiten. Zum besseren Verständnis folgen nun ein paar konkrete Alltagsbeispiele aus unserem Kindergruppenleben:

Beispiel: Teilen
Spielt ein Kind mit einer Sache und ein anderes will es haben, gibt es unsere allseits beliebte „5 Minuten-Regel“: „In 5 Minuten kriegst du’s!“ heißt es dann – will man besonders großzügig sein, tut’s vielleicht auch eine, im schlimmsten Fall muss man halt zehn Minuten warten. Erstaunlicherweise akzeptieren auch unsere Allerkleinsten diese Regel. Obwohl wir ihnen ansehen, wie außerirdisch „5 Minuten“ für sie klingt, kriegen sie doch mit, wie die Großen diese Regel selbstverständlich (wenn auch manchmal etwas zähneknirschend) anwenden … und machen es dann halt auch! Außerdem: Über „Hergeben“ muss man sowieso erst dann nachdenken, wenn man freundlich darum gebeten wird. Ohne „Bitte“ muss gar niemand etwas tun.

Beispiel: Umgangsformen
Wenn die freundlichen Worte „Bitte“ und „Danke“ anfangs so gar nicht über die kleinen Lippen rutschen wollen, werden sie nicht mit Vehemenz eingefordert, sondern einfach von uns (Betreuungspersonen und erfahreneren Kindern) quasi ersatzweise gesprochen, bis die Kinder es selber tun. Über kurz oder lang wenden wirklich alle diese respektvollen Umgangsformen an, denn eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit und Frieden ist uns anscheinend allen eigen.

Beispiel: Streit
Wird ein Kind durch ein anderes verletzt, egal ob physisch (z.B. schlagen) oder psychisch (z.B. beleidigen), weint also ein gekränktes Kind, muss! es getröstet werden. Auch Kinder, die aus Mangel an Empathie nicht dazu in der Lage sind, dürfen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und weiterarbeiten oder -spielen. Sie sind dazu verpflichtet, den Tröstern – egal ob Kind(ern) und/oder Betreuern – zur Seite zu stehen. Das heißt, sie müssen zumindest dabei sein, bis wieder Entspannung eingetreten ist. Dann wird in der Regel der „Täter“, meist schon von den Kindern, aufgefordert, sich zu entschuldigen, falls er oder sie das noch nicht getan hat. Fehlt dazu die Einsicht, erklärt die BetreuerIn dem „Opfer“, dass der „Täter“ das im Moment noch nicht kann und dass er es bestimmt lernen wird – von den anderen Kindern und auch den BetreuerInnen. Derweil entschuldigt sich die Betreuungsperson auf jeden Fall stellvertretend für den „Täter“, was beim „Opfer“ immer schon eine erste Befriedigung und damit Entspannung auslöst. Umgekehrt ist das „Opfer“ manchmal auch nicht so schnell bereit, eine Entschuldigung anzunehmen. Dann wird dem „Täter“ erklärt, dass der Gekränkte wahrscheinlich noch Zeit braucht, um verzeihen zu können. Er könne ja, bis es soweit ist, versuchen, sein Vertrauen wieder zu gewinnen. Sind die Gemüter gar erhitzt, ist jetzt der ideale Zeitpunkt für eine Pause! Zwischendurch mal etwas trinken oder so… weil, die Aufregung, das Weinen, das Adrenalin, das Zuhören, das Reden, und wer weiß, was sonst noch, alles in allem ganz schön anstrengend ist.

Aber von wegen Pause! Wäre da nicht diese Traube an Kindern, die entweder Zeugen des Falles oder einfach neugierig geworden sind:

  • Wie wird dieser Fall wohl enden?
  • Trifft den „Täter“ wirklich die alleinige Schuld?
  • Oder hat er etwa in Notwehr gehandelt?
  • Was ist im Vorfeld passiert?
  • Hätte er anders als mit Verletzung reagieren können?

Die Klärung so eines „Falles“ kann sich mitunter über eine ganze Woche ziehen. Bei so aufwendiger Kommunikation und Streitkultur ist es (auch für die Eltern) verständlich, dass ein Projekt oft etwas länger dauert oder manchmal der einzige zeitliche Fixstern des Vormittages schließlich das Mittagessen (wie immer mit vorhergehendem Aufräumen) ist.

Bunter Alltag

Geht sich bei unserer aufwändigen Kommunikation Basteln, Musik, Tanz, das Erlernen von Sprache, Zahlen und Buchstaben, der Umgang mit Natur und Medien usw. überhaupt noch aus? Ja! Und wie!

Lernen aus Freude
Fühlt sich ein Kind in seinem Wesen geachtet und in seiner Gruppe beschützt und geborgen, entspannt es sich und entfaltet seine ursprüngliche Neugierde, die ihm das Lernen zur Freude macht. In unserer Kindergruppe lehren wir die Vorschulkinder Buchstaben und Zahlen (und wenn sie wollen noch mehr). Zeigen die Kleineren schon Interesse an diesen (und auch anderen) Fertigkeiten, werden sie ihnen von den „Großen“ beigebracht. So festigen die einen ihr Wissen, und die anderen dürfen schon bald anfangen, sich wie Schulkinder zu fühlen.

Und wie sich alle schon auf die Schule freuen!!!

Ausflüge
Einmal in der Woche ist bei uns Ausflugstag. Die konditionsstarken Kinder unternehmen schon längere Wanderungen in die wilde Natur. Ab und zu organisieren wir uns hierfür auch extra einen Tourbus. Die Jüngeren spazieren währenddessen in den nahe gelegenen Dadlerpark. Schönbrunn und der dortige Zoo sind auch beliebte Ausflugsziele. Im Winter gehen wir auch ganz gerne ins Theater oder ins Museum, im Sommer gibt’s dann Badespaß im Bundes- oder Theresienbad.

Theater
Unsere Kinder sind Freunde geworden, sie sorgen sich um einander und deswegen ist vieles möglich! Legendär sind zum Beispiel unsere Zirkus- und Theatervorführungen: Da werden sogar die Eltern davon überzeugt, dass wirklich jedes Kind auf „seine Rechnung“ kommt. Da wir unsere Eltern von Anfang an darauf vorbereiten, dass wir auch „auffällige“ Kinder aufnehmen, ist es für sie wichtig und schön zu bemerken, dass ihre eigenen auch auffallen … und wie schön das ist – bunter geht’s nicht!

Elternbetreuung
Die Lebensfreude ihrer Kinder ist, wie sich herausstellt, die wirksamste „Elternarbeit“. Aber nicht die Einzige. Wir unterscheiden zwischen Organisatorischem und Individuellem. Das Vehikel zur Kommunikation organisatorischer Angelegenheiten ist unser monatlich erscheinendes „Kigru-Pöstli“ oder wir nutzen die lockere Atmosphäre am Rande eines unserer Feste, um Organisatorisches zu diskutieren. Wenn es aber um die Kinder geht, bevorzugen wir einen viel intimeren Rahmen. Hier setzen wir auf individuelle Gespräche, außerhalb des Kinderhauses, mindestens einmal pro Jahr oder jederzeit bei Bedarf. Somit entfällt bei uns der „traditionelle“ Elternabend.

Zusammenfassung

Zum Schluss noch eine kleine Zusammenfassung dessen, woran wir unsere Kinder teilnehmen lassen wollen:

  • Empathie
  • Toleranz
  • Gemeinschaftssinn
  • Streitkultur
  • Freundlichkeit
  • Hingabe
  • Humor (mit einem guten Schuss Selbstironie)
  • Zivilcourage (wir dürfen Gewalt z.B. durch Festhalten stoppen, wenn dies notwendig ist)
  • Beschützungsfähigkeit (für sich selbst, andere Lebewesen und auch Dinge)
  • Abgrenzungsfähigkeit (die Möglichkeit, Nein zu sagen und gegebenenfalls den Bären rauszulassen)
  • Teilen (die Möglichkeit Ja zu sagen)
  • Ein Verzicht auf vernichtende Rechthaberei vor allem Schwächeren gegenüber (gilt besonders für Pädagogen 😉 )
  • Sensibilisierung jenes „Fingerspitzengefühls“, jenes „Gespürs“, das es braucht, um miteinander in Harmonie leben zu können!

In diesem Sinne
freundliche Grüße aus dem Kinderhaus

Bruno Geissmann
Leitung Kinderhaus Ohrwurm